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13.12.2022 15:16

Wie schaffen wir eine echte Arbeitszeitverkürzung?

Bericht von der Konferenz des European Network for the Fair Sharing of Work 20./21.10.2022 in Brüssel.

Die alle zwei Jahre stattfindende Konferenz des Europäischen Netzwerks für Arbeitszeitverkürzung befasste sich diesmal wegen der Konjunktur von 4-Tagewochen-Experimenten mit dieser Frage, allerdings mit allen Ambivalenzen, die diese Form der Arbeitszeitverkürzung beinhaltet. Weiterer Besprechungspunkt waren, wie wir in Europa zu echter Arbeitszeitverkürzung, mit vollem Lohn- und teilweisem Personalausgleich, kommen.

Zu den Gründungsmitgliedern und Organisator*innen des Netzwerkes gehören die attac-AG ArbeitFairTeilen aus Deutschland und das Réseau Roosevelt aus Frankreich. Dank der Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel, des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, von Attac sowie der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt und der tatkräftigen Organisation durch die Koordinatorin India Burgess vom Autonomy Institute London konnte eine sehr erfolgreiche Konferenz durchgeführt werden.

Kampagnen und Bedingungen zur 4-Tage-Woche
Mit etwa 40 Teilnehmenden vor Ort und 400 online-Angemeldeten war die Resonanz groß. Das Thema 4-Tagewoche liegt in der Luft.

Zum einen wurde eine beeindruckende Fülle von Kampagnen und guten Beispielen in Betrieben zur 4-Tagewoche präsentiert. Allen voran die 4 Day Week Campaign aus Großbritannien mit ihrem Großversuch von 70 Unternehmen mit 3000 Beschäftigten, dessen erste Auswertung durch das Autonomy Institute einen großen Zuspruch bei Beschäftigten wie Unternehmen zeigt. Über 80 % der Teilnehmenden würden die nach dem 100/80/100-Prinzip (100% Lohn/80% Arbeitszeit/100% Leistung) organisierte 4Tagewoche gerne weiterführen. Ähnliche Versuche werden z.Z. auch, untersützt durch Zuschüsse der spanischen Regierung, in der Region Valencia gemacht und in Portugal ist ein ähnlicher Versuch in Planung.

Kontrovers diskutiert wurden die Fragen der Intensivierung und des Personalausgleichs und der Gefahr der reinen Komprimierung der gleichbleibenden Arbeitszeit auf weniger Tage (wie im Modell der konservativen belgischen Regierung) mit der Folge ständig überlanger und gesundheitsschädlicher Arbeitszeiten. Johanna Wenckebach, Direktorin des Hugo Sintzheimer-Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung entfaltete präzise die Bedingungen, unter denen eine 4-Tagewoche im Interesse der Beschäftigten wäre: keine regelmäßig über acht Stunden hinausgehenden täglichen Arbeitszeiten, d.h. Arbeitszeitverkürzung, und zwar mit  vollem Lohnausgleich; keine Arbeitsverdichtung, d.h. in der Mehrzahl der Fälle Personalausgleich; verbindliche kollektive Regelungen statt nur individuelle Optionen.

Während der Lohnausgleich auch in den meisten schon praktizierten betrieblichen Beispielen unstrittig zu sein scheint, ist für die Unternehmen i.d.R. der Personalausgleich keine Option, da gerade die enormen Produktivitätszuwächse durch Arbeitszeitverkürzung (zwischen 20 und 40%) das Attraktive (neben der erleichterten Personalgewinnung) an einer 4-Tagewoche mit Arbeitszeitverkürzung darstellen.

Geschlechtergerechtigkeit durch die 4-Tage-Woche?
Als problematisch unter Gleichstellungs- und Care-Gesichtspunkten wurde die 4-Tagewoche thematisiert, da Sorgearbeit i.d.R. an allen Wochentagen anfällt. Da Sorgearbeit nach wie vor überwiegend von Frauen geleistet wird, könnte eine Komprimierung der Erwerbsarbeit auf 4 Tage eher zu einer Re-traditionalisierung ihrer Verteilung statt einer gerechteren Neuverteilung zwischen den Geschlechtern beitragen.

Kontrovers wurde auch diskutiert, ob Ansätze zu Arbeitszeitverkürzung wie die 4-Tagewoche Resultat gewerkschaftlicher Kämpfe oder von unternehmerischem Goodwill sein können bzw. sollten. Die Einen sehen Ansätze eines Wertewandels hin zu nachhaltigeren Formen des Arbeitens auch im Unternehmenslager und setzten im Angesicht der andauernden Schwäche der Gewerkschaften eher darauf als Motor für die 4-Tagewoche. Die Anderen verweisen darauf, dass in aller Geschichte der   Arbeiterbewegung wirkliche Fortschritte bei der Arbeitszeit wie der 8-Stundentag, die 5-Tagewoche, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die 35-Stundenwoche nicht ohne Kampf, im Zweifelsfalle Streik, zu haben gewesen seien. Zudem könnten nur verbindliche kollektivvertragliche oder gesetzliche Regelungen sicherstellen, dass Arbeitszeitverkürzung wirklich im Lohn-, Gesundheits- und Arbeitsplatzinteresse aller   betroffenen Beschäftigten umgesetzt werde.

CGIL, CGT, Unita und IG Metall sind dabei
Überaus erfreulich waren abschließend die berichteten Aktivitäten verschiedener, z.T. neu zum Netzwerk hinzugestoßener Gewerkschaften. So plant der große italienische Gewerkschaftsbund CGIL auf Basis eines   gerade erschienenen Büchleins "Lavorare meno - vivere meglio" (Kürzer arbeiten - besser leben) seines früheren Zuständigen für Internationales und Grundsatzfragen Fausto Durante eine organisationsinterne Mobilisierungskampagne in allen Regionen der Gewerkschaft in Italien. Die französische Gewerkschaft CGT hat bereits 2021 eine Kampagne zur 32-Stundenwoche gestartet, in Frankreich als Weiterentwicklung der dort per Gesetz geltenden 35-Stundenwoche gedacht, u.a. mit einer Broschüre "Traivailler moins, travailler mieux, travailler toutes et tous - c'est possible et urgent" (Weniger arbeiten, besser arbeiten, Arbeit für alle - möglich und dringend notwendig).

Während die IG Metall nach ihrem Arbeitszeitverkürzungsabschluss 2018 (28-Stundenoption und acht zusätzliche freie Tage) und der Möglichkeit einer beschäftigungssichernden 4-Tagewoche für Krisenbetriebe in der diesjährigen Tarifrunde angesichts der enormen Inflation nur Lohnforderungen gestellt hat und die Schweizer Gewerkschaften nach dem Scheitern einer Volksabstimmung zur 36-Stundenwoche 2003   Arbeitszeitfragen eher defensiv behandelt haben, wollen aber sowohl IG Metall als auch die schweizer Gewerkschaft Unia die Frage der Arbeitszeitverkürzung als gesellschaftlichen, auch bei den eigenen   Mitgliedern spürbaren, Trend auf ihren Gewerkschaftskongressen 2023 offensiv diskutieren. Ebenso verdi, die in einzelnen Bereichen wie den Sozial- und Erziehungsberufen, in den Kliniken, bei der Post u.a.   zusätzliche freie Entlastungstage bzw. Zeit statt Geld-Optionen hat durchsetzen können.

Beeindruckend war der Bericht der Vertreterin der isländischen Gewerkschaft der Kommunalbeschäftigten BSRB über die Durchsetzung der 36-Stundenwoche als Möglichkeit für inzwischen etwa 80% aller   Beschäftigten Islands, nach dem erfolgreichen Modellprojekt damit in der Stadtverwaltung von Rejkjavik und intensiven Debatten über die Notwendigkeit kürzerer Arbeitszeiten für die Work-Life-Balance und die   geschlechtergerechte Verteilung der Sorgearbeit. Ähnliche Diskussionen werden inzwischen auch in der schwedischen Gewerkschaft der Kommunalbeschäftigten geführt.

Die Zukunft des Netzwerkes
Abgerundet wurde die Konferenz durch Beratungen über die Zukunft des European Network for the fair Sharing of Working Time. Nach der Gewinnung einer hauptamtlichen Koordinatorin, India Burgess vom   Autonomy Institute in London, steht gerade die Konstruktion einer Website an. Unter dem verschlankten Namen "European worktime network" sollen damit der Austausch und die Beratung über Ansätze von   Arbeitszeitverkürzung in Europa intensiviert und systematisiert werden, u.a. durch die Fortführung des europäischen Newsletters zu Arbeitszeitverkürzung und der alle 2 Jahre stattfindenden Konferenzen, aber auch durch neue Formate wie eine 8-teilige Mittags-Webinarreihe zu verschiedenen Aspekten von Arbeitszeitverkürzung in Europa. Für die Finanzierung all dieser Aktivitäten und für das ehrenamtlich tätige   Koordinationskomitee braucht das Netzwerk dringend Unterstützung. Einige der an der Konferenz Teilnehmenden wollen in ihren Organisationen entsprechende Anfragen stellen.

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